Ein Jahr als Sportdirektor: Interview mit Matthias Böhmer

Matthias Böhmer

Berchtesgaden (FIL/08.04.2024) FIL-Sportdirektor Matthias Böhmer hat vor einem Jahr dieses Amt übernommen. Zuvor wurde der 33-jährige Deutsche eine Saison von seiner Vorgängerin Maria-Luise Rainer eingearbeitet.

Nun hat der ehemalige Rodler, Bobpilot, Rennleiter und Trainer seine erste Saison in dieser Führungsposition für den Rodel-Kunstbahnsport erfolgreich absolviert. Wir haben nachgefragt, wie es ihm ergangen ist, was seine Erfahrungen sind und was er sich weiter vornimmt.

Herzlichen Glückwunsch zum einjährigen Jubiläum, Matthias Böhmer. Wie fühlt es sich an, nach einem Jahr als Sportdirektor für den Rodel Kunstbahnsport?

Matthias Böhmer: „Man kann sich einigen Schweiß von der Stirn abwischen nach einem Jahr. Sportdirektor der FIL ist auf jeden Fall eine harte Aufgabe. Wenn man alles unter einen Hut bekommen möchte, alle Trainer und Athleten aller Nationen glücklich machen möchte und alle Ausrichter und nationalen Verbände zufrieden stellen will, das ist eine wahnsinnige Aufgabe.
Alle glücklich machen, kann man natürlich nie und man muss den Partnern oft genug sagen, dass etwas so nicht funktioniert, wie sie es gerne hätten. Das ist organisatorisch und kommunikativ insgesamt eine riesengroße Aufgabe.“

Welche größten Herausforderungen haben Sie während Ihres ersten Jahres in Ihrer Position erlebt?

Matthias Böhmer: „Die größten Herausforderungen brachten sicher die Wetterkapriolen nach der WM mit sich. Das warme Wetter hat uns von Bahn zu Bahn verfolgt. Darauf zu reagieren und das Beste für die Athleten, aber auch für die Medien herauszuholen, das war schon wirklich nicht leicht.

Und dann war es auch eine Herausforderung, den Hunger der Teams und Ausrichter bei den ganzen Doppelveranstaltungen aufrecht zu erhalten. Beim zweiten Weltcup auf der jeweiligen Bahn ist teilweise die Motivation der Beteiligten schon stark zurück gegangen. Ziel war es natürlich, das Veranstaltungsniveau trotzdem hochzuhalten. Das war manches Mal nicht leicht.“

Matthias Böhmer und Norbert Loch

Welche Veränderungen haben Sie im Vergleich zu den Vorjahren in der Organisation oder im Management vorgenommen?

Matthias Böhmer: „Grundsätzlich haben wir versucht das hierarchische System zu verändern und mehr auf Kommunikation und Miteinander gesetzt. Mit allen Beteiligten, mit der FIL, den Teams und den Ausrichtern, haben wir versucht eine „Open-Door-Policy“ anzustreben und offen zu sein für Ideen und Anregungen. Flexibilität und Individualität in der Organisation und Umsetzung der einzelnen Weltcups, war unser Ziel.“

Können Sie uns etwas über ihre weiteren Ziele und wichtigen Meilensteine berichten?

Matthias Böhmer: „Grundsätzlich müssen wir kooperativer, kommunikativer und individueller agieren. Wir müssten die Ausrichter noch mehr motivieren, individuelle, eigenständige Events auszurichten, nicht nur für das Fernsehen, sondern auch noch attraktive für die Zuschauer vor Ort. Wir als FIL können hier nur beratend tätig sein. Wir können mit Ideen und Kontakten unterstützen. Die Ausrichter selbst müssen die Motivation aufbringen, individuelle, attraktive Events zu schaffen. Wenn man für Fans etwas Besonderes bietet, dann generiert man auch mehr Budget über die Eintrittsgelder. Das ist ein Kreislauf.“

Gab es bestimmte Strategien oder Initiativen, die Sie eingeführt haben, um den internationalen Rodelsport attraktiver zu machen?

Matthias Böhmer: „Das erfolgt in ganz enger Zusammenarbeit mit dem Technischen Direktor. In den nächsten Jahren sollen neue Rodelschuhe und ein neuer Helm eingeführt werden. Das sind die zwei Punkte, an denen wir aktuell besonders arbeiten. Wir dürfen den Gesichtspunkt der Attraktivität nicht über den der Sicherheit und Fairness stellen. Grundsätzlich möchten wir ein komplett neues Schuh- und Helmdesign kreieren. Ansonsten ist es wichtig, dass die Athleten selbst erkennen, dass sie sich im besten Licht präsentieren müssen.“

Matthias Böhmer

Vor allem das warme Wetter hat dem gesamten Wintersport in der zurückliegenden Saison Sorgen bereitet. Die Rodel-Weltcups und Weltmeisterschaften konnten planmäßig stattfinden, aber sie mussten gemeinsam mit der Rennleitung und Jury mehrfach die Startreihenfolge ändern, um möglichst faire Rennbedingungen zu schaffen. Wie blicken Sie rückwirkend auf diese Entscheidungen zurück?

Matthias Böhmer: „Wir hätten die Startreihenfolge schon beim ersten Oberhof Weltcup ändern müssen. Allerdings war das eine sehr weitreichende Entscheidung, für die wir uns auch rechtlich absichern wollten.
Ich bin der Meinung, dass die Umstellung äußerst positiv war und das nicht nur sportlich und medial gesehen. Wir haben auch den Nationencup dadurch massiv aufgewertet. Haben ihn zu einem wichtigen Rennen gemacht. Die Nationencup-Starter hatten dadurch einen Wettkampf mehr, der eine große Bedeutung für die erfolgreiche Teilnahme am Weltcup hat.
Ich finde diese Regelung fairer als bisher. Wenn man sich im Nationencup unter den ersten fünf in Einzel, beziehungsweise drei im Doppel, platzieren konnte, bekam man die besten Startnummern für den Weltcup. Aber auch der Sechste oder Siebte startete noch ganz nah an den Topfahrern der Gesetztengruppe. Ich finde das fairer.“

Wie war die Resonanz der Teams auf diese geänderte Startreihenfolge?

Matthias Böhmer: „Am Anfang waren die Topnationen gleich positiv gestimmt, aber die anderen Nationen waren natürlich gegen eine Änderung, weil sie nicht erkannten welche Chancen das für sie bietet. Beim Weltcupfinale habe ich dann überwiegend positive Resonanz erhalten, vor allem auch von den sich entwickelnden Nationen.“

Wie lief die Kommunikation mit den Teams? Hat sich da im Vergleich zur Vergangenheit etwas geändert?

Matthias Böhmer: „Was sich verändert hat, kann ich schlecht beurteilen. Aber Andris und ich haben von Anfang an eine „Open-Door-Policy“ mit Trainern und Athleten gepflegt. Wir könnten vom Alter her noch Athleten sein und haben sehr viel Verständnis für die Anliegen der Athleten und Trainer. Die erfahrenen Trainer der Teams sind länger dabei als wir und sie sind echte Experten, die wir hören sollten. Die Trainer haben oft sehr gute Ideen. Daher haben wir Trainerabende organisiert und wichtige Dinge dort ganz unpolitisch diskutiert. Auch mit den Athletensprechern, vor allem mit Leon Felderer, hat man fast eine Standleitung und kommuniziert wöchentlich. Dieser Austausch und die Kommunikation sind ganz besonders wichtig.“

Matthias Böhmer, Sport Director FIL

Welche langfristigen Ziele haben Sie für den Rodelsport und wie planen Sie, diese zu erreichen?

Matthias Böhmer: „Ich bin davon überzeugt, dass der Rodelsport in 15 Jahren nicht der gleiche Sport sein wird, wie wir ihn heute betreiben. Nicht nur die Welt verändert sich ständig, auch die internationale Sportwelt unterliegt einem großen Wandel. Ich weiß nicht in welche Richtung es geht. Wir versuchen neue Rennformate, neue Technik und neue Grafik zu implementieren und den Look-and-Feel des Rodelsports zu modernisieren. Trotzdem bin ich mir sicher, dass sich noch mehr verändern wird. Wir müssen uns massiv entwickeln. Ziel wäre es auch, enger mit der IBSF zusammen zu arbeiten und vielleicht einmal ein gemeinsames Weltcupfinale zu organisieren. Für den Moment haben wir zumindest schon einmal den neuen Wettkampfkalender gemeinsam entwickelt und es werden beide Verbände den Weltkongress im Juni in Lake Placid abhalten, mit einem gemeinsamen Austausch.“

Wie sehen Sie die Situation um den Bau der Olympiabahn für Mailand-Cortina 2026?

Matthias Böhmer: „Es gibt eine super Baufirma für die Olympiabahn in Cortina und ich bin mir sicher, dass wir dort 2026 fahren werden. Ich hoffe, dass auch die Nachnutzung dieser Bahn durch die Italiener gesichert ist und sie so für den italienischen Nachwuchssport und für zukünftige Wettkämpfe wertvoll wird.“

Welche Rolle spielt die Entwicklung und Förderung von Nachwuchsathleten? Wie möchte man mehr Teamstaffeln etablieren?

Matthias Böhmer: „Wir haben festgestellt, dass wir akuten Trainermangel in unserem Sport haben. Letztendlich kann man den Sport aber nur entwickeln, wenn man gut ausgebildete Trainer hat. Die Rekrutierung und Ausbildung müssen hier eine größere Bedeutung erhalten. Langfristig möchten wir Traineraus- und Fortbildungen etablieren. Internationale Themen sollen für die Trainer behandelt und der Austausch, die Ideen sowie die Entwicklung dadurch massiv gefördert werden. Hier wollen wir in den nächsten Jahren ansetzen. Der Rodelsport braucht neue Ideen und Denkansätze und mehr gut ausgebildete Trainer für die Rekrutierung sowie Entwicklung von neuen Athleten. Es gibt also viel zu tun in den nächsten Jahren.“

Vielen Dank für das Gespräch!