Cooler Drache: Der Eiskanal-Architekt Uwe Deyle hat seine Kreativität beim Yanqing National Sliding Center ausleben dürfen

YanQing Sliding Center

Peking (FIL) Die erste Begegnung liegt hinter ihnen. Von Liebe auf den ersten Blick kann danach keine Rede sein. Stattdessen überwiegt Respekt. "Die Bahn ist sehr eigen, sie ist extrem lang, hat einige Schwierigkeiten, oft fehlen Orientierungspunkte", sagt Wolfgang Kindl, zweifacher Weltmeister aus Österreich. "Die Bahn hat die eine oder andere Tücke", urteilt der dreifache Olympiasieger Felix Loch aus Deutschland. Seine Teamkollegin, die Weltmeisterin und Gesamt-Weltcupsiegerin Julia Taubitz, meint: "Durch die beiden Startkurven muss man wirklich optimal durchkommen, weil man sonst schon alles wegschmeißen kann."

Österreichs Cheftrainer Rene Friedl bringt es auf den Punkt: "Der Charakter der Bahn ist sehr speziell, einzigartig und von oben bis unten anspruchsvoll. Man braucht viel Gefühl."

YanQing Sliding Center

Alle Vier sprechen über den Eiskanal im Yanqing National Sliding Center, der Bahn, auf der die olympischen Rodelrennen in Peking stattfinden werden. Thomas Schwab, Vizepräsident Marketing der FIL und Vorstandsvorsitzender des Bob- und Schlittenverbands Deutschland, bezeichnet sie als "die spektakulärste Sportanlage, die wir je gebaut haben".

Verantwortlich dafür ist Uwe Deyle. Die Vorgaben an den Architekten aus Stuttgart, der auch schon das Alpensia Sliding Center in PyeongChang entworfen hatte, waren kurz und knapp formuliert worden. Gut solle der Eiskanal im Yanqing National Sliding Center sein, erzählt er. Darauf machte er sich ans Planen. Heraus kam eine Bahn der Extreme: mit 1583 Metern ist sie eine der längsten der Welt, 16 Kurven sind zu meistern. Mit einer Spitzengeschwindigkeit von etwa 135 km/h ist sie nur geringfügig langsamer als die Eiskanäle von Whistler oder Altenberg. 

Das Besondere ist jedoch, dass sie komplett überdacht ist. Durch die Gestaltung des Daches sieht die Bahn von oben wie ein Drache aus. Die Optik war allerdings nicht der Grund, warum der Eiskanal überdacht wurde. Die Bahn liegt an einem Südhang. "Wir müssen die Bahn beschatten, um den Energiebedarf so gering wie möglich zu halten", erklärt Architekt Deyle. Um diese Vorgabe der Sportverbände FIL und IBSF erfüllen zu können, wurde das Wetterschutzsystem mittels etwa zehn Zentimeter Mineralwolle wärmegedämmt.

Yanqing National Sliding Center

Obwohl vom ausladenden Dach bereits 90 Prozent des Eiskanals beschattet werden, gibt es zusätzlich noch Sonnensegel. Wenn diese heruntergelassen sind, ergibt sich eine langgezogene Halle, in der Zuschauer direkt an der Bahn entlanggehen oder stehen können. Dies hat natürlich gekostet.

Das Herzstück des Yanqing National Sliding Centers ist der 370-Grad-Kreisel. Nach der Einfahrt geht's erst einmal mit einer Steigung von acht Prozent, oder 6,5 Meter, bergauf. Bis zur Ausfahrt nach 216 Metern Fahrlänge fällt die Bahn mit 16 Prozent um 19,50 Meter. Das ist eine richtige Achterbahn. Manche Rodler haben das überdimensionale Gebäude auch als Bahnhofshalle bezeichnet.

Dächer Yanqing Sliding Center

Architekt Uwe Deyle hat von Anfang an auf hohe Fahrlinien gesetzt. Schon in der ersten Kurve liegt die Fahrlinie auf einer Höhe von zwei Metern, in Kurve zwei sind es bereits drei Meter. "Bei hohen Kurven kann man Zeit verlieren, ohne offensichtlich in Bedrängnis zu kommen", erklärt Deyle. Bei den Weltcuprennen im November hat Wolfgang Kindl erkannt: "Die Kurven sind extrem offen, deshalb kann man viele Linien fahren. Und in einigen Passagen muss man auch gegen sein Körpergefühl arbeiten." Bis Kurve acht mache die Bahn, so der Architekt, immer etwas Anderes wie es ideal wäre. "Man muss sehr exakt fahren, damit man nicht zu viel Zeit verliert", erklärt er.

Olympic track Yanqing

Das Architekturbüro Deyle ist der Pionier für künstlich vereiste Bob- und Rodelbahnen. Firmengründer Werner Deyle hatte als Spezialist für Kältetechnik Mitte der 1960er Jahre die Eischnelllaufbahn in Inzell realisiert. Bei der Einweihung war auch Richard Hartmann. Der damalige Sportwart des Deutschen Bob- und Schlittensportverbandes sprach Deyle an: "Was Sie hier in der Ebene gemacht haben, lässt sich sicher auch kippen." Dies war die Geburtsstunde der Bob- und Rodelbahn am Königssee, der ersten Kunsteisbahn der Welt, die 1968 eingeweiht wurde. Die Anlage entstand damals mit empirischen Versuchen und Unterstützung durch den damaligen Bundestrainer Sepp Lenz. Mit diesem Know-how ausgestattet folgten weitere Bahnen.

Wie ins Alpensia Sliding Center in Pyeongchang hat Deyle auch im Yanqing National Sliding Center wieder eine Kurve mit zwei Radien eingebaut. Die beginnt mit einer Schanze, auf die eine Senke als Druckpunkt folgt. "Wir nennen sie Schafkurve", erzählt er.

Nachdem Uwe Deyle das Projekt Yanqing National Sliding Center erfolgreich abgeschlossen hat, zieht der Architekt sein Fazit: "Das ist die coolste Bahn, die man sich als Planer wünschen darf." Ob sie die Rennrodler auch so cool finden? Spätestens im Februar werden sie sich dazu äußern.