Interview Technischer Direktor Andris Sics:
"Ich bin sicher, dass sich unser Sport weiterentwickeln und in Zukunft interessanter und moderner werden wird."
Berchtesgaden (FIL/10.05.2024) Der Technische Direktor der FIL, Andris Sics aus Lettland absolvierte im Winter 2023/2024 die zweite Saison in seiner Position. Zuvor war der 38-Jährige aus Sigulda noch als aktiver Rodler, gemeinsam mit seinem Bruder Juris Sics auf dem Doppel, unterwegs. Die beiden Brüder nahmen an fünf Olympischen Winterspielen teil und holten drei Olympiamedaillen. Darunter Silber in Vancouver 2010 und zweimal Bronze in Sotchi 2014 (Doppel und Team). Zuletzt belegten die Sics-Brüder 2022 in Peking den fünften Platz bei den Olympischen Winterspielen. Andris und Juris Sics standen in der Olympiasaison 2021/22 bei drei Weltcup-Rennen ganz oben auf dem Podest und sicherten sich den zweiten Platz im Gesamtweltcup und den Sieg Sprint-Weltcup ihrer letzten Saison.
Herr Sics, wenn Sie auf die Rodel-Saison 2023/2024 zurückblicken, was waren für Sie die Highlights?
Andris Sics: „Das Highlight der Saison war sicherlich die Weltmeisterschaft. Wir haben zwei Wochen lang auf der gleichen Bahn trainiert und sind Rennen gefahren, und es gab viele technische Kontrollen. Es war das Hauptereignis der Saison und die arbeitsreichste Zeit für mich. Aber auch der erste Weltcup im Dezember 2023 in Lake Placid war sehr arbeitsreich. Reto Gilly hat mich beim ersten Weltcup begleitet und mir sehr geholfen. Wir haben zu Beginn der Saison an einigen hundert Schlitten technische Kontrollen durchgeführt. Jeder kam, um seinen Schlitten kontrollieren zu lassen, meistens nicht nur einmal. Viele Schlitten mussten wir mehrmals kontrollieren."
Wie wollen Sie auf der Grundlage dieser Erfahrungen zukünftige Strategien entwickeln?
Andris Sics: „Meine zweite Saison war schon anders als die erste. Nicht nur von meiner Seite aus, sondern auch von der Seite des Sportdirektors Matthias Böhmer. Wir verfolgten in dieser letzten Saison eine "Open-Door-Policy". Wenn ich an der Bahn bin, ist meine Tür immer offen, wir können jederzeit Schlitten oder Ausrüstung kontrollieren. Wir können das machen, wann immer die Athleten es wollen. Dafür gibt es kein Zeitfenster. Das hat dazu geführt, dass es in der letzten Saison sehr wenige Disqualifikationen gab. Wir konnten alle technischen Probleme während des Trainings beheben. So war alles gut vorbereitet und korrekt für die Wettkämpfe. Ich will keine Athleten disqualifizieren. Ich will faire Wettkämpfe. Diese Politik der offenen Tür war sehr gut. Ich möchte auch in Zukunft in diese Richtung gehen!"
Ist das Ihre Philosophie, weil Sie erst vor zwei Jahren von der Athleten- auf die Funktionärsseite gewechselt haben?
Andris Sics: „Vielleicht, ja. Denn ich bin nicht mehr wie ein Athlet, aber ich denke immer noch an die Athleten. Es ist möglich, sich Ratschläge zu holen, und der technische Direktor sollte die Möglichkeit haben, zu helfen, wann immer es möglich ist. So fließen die Erfahrungen aus meiner Athletenzeit in meine Arbeit als Funktionär ein."
Gibt es konkrete Ideen oder Konzepte für neue Rennformate, die bereits diskutiert wurden oder die Sie persönlich unterstützen?
Andris Sics: „Die FIL-Exekutive und der Kongress müssen im Juni darüber erst entscheiden. Aber ich kann sagen, dass das Team der FIL sehr aufgeschlossen ist. Unser Sportdirektor Matthias Böhmer und die Sportkommission haben neue Ideen eingebracht. Wir sind jetzt im Wandel, und das ist sehr wichtig. Und wenn ich „wir" sage, dann meine ich nicht nur die FIL, sondern die gesamte Rodel-Familie. Auch die Athleten und Trainer wollen etwas verändern, um unseren Sport zukunftsfähiger zu machen. Wir sind alle zusammen die FIL-Familie und wir sind auf dem richtigen Weg in eine positive Zukunft. Manche Ideen sind neu, manche Ideen sind schon aus der Vergangenheit. Zum Beispiel könnte es in Zukunft ein neues Mixed-Event-Format geben. Oder etwas anderes. Wir sind sehr aufgeschlossen für neue Ideen."
Gibt es irgendwelche Neuigkeiten in Bezug auf die Rodel-Schuhe, an denen Sie arbeiten?
Andris Sics: „Bei den Rennschuhen arbeiten wir mit der Firma RASS zusammen, die GTS-Schuhe für Rennen und Training entwickelt. Die neue Trainingsversion der Schuhe ist fertig. Wir müssen diese neuen Schuhe jetzt einführen, aber wir wollen die alten nicht sofort verbieten. Es sind noch viele im Einsatz und sie kosten den Teams einiges an Geld. Die neuen Trainingsschuhe sind sicherer, und das ist wichtig. Aus der Sicht eines Athleten würde ich die neuen und sichereren Schuhe kaufen. Mehr als 80 Prozent der Läufe finden im Training statt, und die meisten Verletzungen passieren dabei. Das ist also sehr wichtig."
Wie beurteilen Sie die aktuelle Entwicklung im Damen-Doppelsitzer?
Andris Sics: „Es ist eine sehr neue Disziplin. Ich würde sagen, die Damen machen einen großartigen Job. Es ist toll, ihnen zuzusehen. Der Unterschied zwischen den ersten sechs Plätzen bei der Weltmeisterschaft war sehr gering. Es ist interessant, das zu beobachten, und ich freue mich, dass immer mehr Athletinnen in dieser Disziplin antreten. Gerade in der ersten Saison gab es eine Menge Fragen von den Damen, wie man fährt und wohin man lenken muss. In der zweiten Saison waren die Damen Doppel dann schon so professionell und erfahren, dass es diese Fragen schon nicht mehr gab. Das war sehr interessant zu beobachten. Die Damen haben sehr schnell gelernt und sind sehr professionell."
Wie hat die Integration der Damen Doppel in die Teamstaffel im letzten Winter funktioniert?
Andris Sics: „Aus meiner Sicht war der erste Teamstaffel-Weltcup in Whistler sehr beängstigend. Wir wussten nicht, was passieren würde und wie es funktionieren würde. Es gab viele Leute und viele Tests, und am Ende muss ich sagen: „Ja, die Integration der Damen Doppel war erfolgreich und hat die Staffel-Rennen interessanter gemacht!"
Welche Bereiche des Rennrodelns sehen Sie als besonders wichtig für die zukünftige Entwicklung an?
Andris Sics: „Ganz klar die "Sicherheit"! Für die Athleten ist es das wichtigste Thema. Nicht nur von der technischen Seite, sondern auch von der Ausrüstung und der Bahn her. Diese drei Themen müssen sich sehr eng miteinander entwickeln. Es geht darum, den Athleten mehr Sicherheit zu geben. Das ist ein Hauptziel, nicht nur von mir, sondern auch von Seiten der FIL."
Was sind die wichtigsten Anträge und Änderungsvorschläge für das IRO-Reglement 2024?
Andris Sics: „Die wichtigsten Punkte werden die Änderungen aus dem FIL-Strategieplan „SLIDE 2026“ sein, die von der Technischen Kommission genehmigt wurden. Um es zu benennen, es geht um die genormten Teile für die Schlitten.
Das wird unseren Sport für kleinere und neue sich entwickelnde Nationen zugänglicher machen. Die Schlitten werden stärker genormt sein. Dies wird neuen Athleten und neuen Ländern die Tür zum Rennrodelsport öffnen. Hoffentlich wird dadurch auch der Preis für die Schlitten gesenkt. Und es wird nach den Olympischen Spielen 2026 in Mailand-Cortina eingeführt werden. Der Kongress zur Entscheidung darüber wird in diesem Jahr stattfinden, um den Nationen einen langfristigen Plan für die Zukunft an die Hand zu geben und ihnen die Möglichkeit zu geben, sich vorzubereiten.“
Wie sehen Sie den Rennrodelsport im Jahr 2030? Was denken Sie, wird sich entwickeln und wie wird der Sport in zehn oder mehr Jahren aussehen?
Andris Sics: „Ich denke, dass der Rodelsport wachsen wird und interessanter und moderner sein wird. Denn wir werden neue Technologien einsetzen. Ich denke nicht nur an die Schlittenteile, sondern auch die Touchpads, die TV- und Renngrafiken für die Zuschauer vor Ort und im Fernsehen. Wir haben einige interessante neue Ideen und neue Rennformate. Die Sportkommission hatte einige kreative Ideen entwickelt. Und ich bin sicher, dass sich unser Sport weiterentwickeln und in Zukunft noch interessanter und moderner werden wird."
Herzlichen Dank, Andris Sics!