Julia Taubitz Zwischen Adrenalin, Achtsamkeit und dem Traum von Cortina

Julia Taubitz, Whistler 2025

Berchtesgaden (FIL/12.11.2025) Es ist ein sonniger Herbsttag. Julia Taubitz sitzt in ihrem Auto. Sie lacht, als sie von ihren beiden „Wohnungen.“ erzählt – dem Tiny House an der Küste und dem Wohnmobil, mit dem sie Freiheit atmet. „Das ist für mich einfach pures Glück, sagt sie. „Wenn ich ans Meer fahren kann, surfen, abschalten – das ist mein Ausgleich zum Eiskanal..“ Doch im Moment steht alles wieder auf Eis. Im wahrsten Sinne des Wortes.

Der große Traum: Olympia 2026 in Cortina

„Ganz klar: die Olympiamedaille, das ist der Plan, sagt sie ohne zu zögern. Julia Taubitz, 29 Jahre alt, fünffache Gesamtweltcup-Siegerin, mehrfache Weltmeisterin, gehört längst zur Weltelite im Rennrodeln. In den vergangenen Jahren war sie die konstanteste Athletin im Feld – präzise, schnell, fokussiert. Doch über allem steht dieser eine Traum: Olympisches Edelmetall.

Denn 2022 in Peking war sie schon einmal so nah dran. Favoritin, Topform, Gold in Reichweite. Dann – ein Sturz im zweiten Lauf. „Im ersten Moment ist damals für mich eine Welt zusammengebrochen.“, erinnert sie sich. „Das war wirklich nicht schön. Obwohl ich am nächsten Tag wieder gerodelt bin und im vierten Durchgang die Bestzeit gefahren bin, habe ich lange gebraucht, um diesen Rückschlag zu verarbeiten..“

Heute blickt sie mit einer Mischung aus Gelassenheit und Dankbarkeit zurück. „So eine Erfahrung verändert dich. Ich habe gelernt, wer wirklich hinter mir steht – und ich habe angefangen, mit einem Mentaltrainer zu arbeiten. Das war früher nichts für mich, aber jetzt weiß ich, wie wichtig das ist. Ich bin mental stärker geworden als je zuvor..“

Rekorde? Nebensache. Leidenschaft? Alles.

Julia Taubitz, Kristallkugel, Sigulda 2024

Fünfmal hat sie den Gesamtweltcup gewonnen – nur Natalie Geisenberger hat mehr geschafft. 30 Einzelsiege stehen zu Buche. Doch Jagd auf Rekorde? Nicht ihr Ding. „Ich bin keine, die auf Zahlen schaut. Meine Ziele habe ich mir als junge Athletin gesetzt: Gesamtweltcup, Weltmeistertitel, Olympiasieg. Wenn ich das geschafft habe, dann wäre das einfach wunderschön – aber ich würde trotzdem weitermachen. Ich liebe diesen Sport zu sehr..“

Und das spürt man. Wer Julia Taubitz bei einem Weltcup beobachtet, sieht eine Athletin, die jede Kurve lebt. Sie lacht mit ihren Konkurrentinnen im Startbereich, konzentriert sich im Eiskanal – und steht im Ziel mit einem breiten Grinsen. Diese Mischung aus Lockerheit und Perfektionismus ist selten. „Ich liebe es einfach, durch den Eiskanal zu fahren. Und der Gedanke ans Aufhören tut mir jetzt schon weh.“, sagt sie.

Mut zur Grenze und manchmal zum Sturz

Rennrodeln ist ein Sport am Limit. Geschwindigkeit, Präzision und Mut entscheiden über Hundertstel. Und Stürze gehören dazu. „Ich finde es sogar wichtig, dass es dich ab und zu mal umlegt.“, sagt Julia Taubitz mit einem Augenzwinkern. „Dadurch trainierst du deine Reaktionen, dein Abrollen – und du lernst, mit Fehlern umzugehen. Wenn man einen Fehler macht, dann muss es auch wehtun..“

Es ist diese Ehrlichkeit, die sie auszeichnet. Sie spricht nicht von Perfektion, sondern von Entwicklung. Von Respekt vor dem Risiko – aber auch vom Reiz des Grenzbereichs. „Ohne Sturz bewegst du dich nicht am Limit.“, sagt sie. „Und genau da wird‘s spannend..“

Adrenalin auf und neben dem Eis

Vielleicht liegt ihr das Risiko im Blut. Im Sommer besucht sie regelmäßig die Motorrad-Rennen auf dem Sachsenring. „Ich finde das Wahnsinn, was die Fahrer da machen.“, erzählt sie begeistert. „Wie die stürzen, wieder aufstehen und sich über den Sturz ärgern – das ist irre..“

Selbst sitzt sie auch auf dem Motorrad, allerdings noch nicht auf der Rennstrecke. „Das reizt mich aber total. Ich bin schon ein kleiner Adrenalinjunkie.“, gibt sie lachend zu.

Luge Girls on Tour, Chiemsee

Die Luge Girls. Freundschaft trotz Konkurrenz

So ehrgeizig sie auf der Bahn ist, so herzlich ist sie abseits davon. Eine Herzensangelegenheit ist ihre internationale Freundinnen-Gruppe, die „Luge Girls.“. Sieben Rodlerinnen aus Deutschland, Österreich, Italien und der Schweiz, die beschlossen haben, sich nicht nur im Winter zu sehen.

„Wir haben die Gruppe beim Weltcup in Sotschi gegründet – beim Abendessen. Seitdem treffen wir uns jeden Sommer ein Wochenende lang. Gardasee, Bodensee, Innsbruck, Zürich, Salzburg – wir haben schon einige Stationen geschafft.“

Dabei geht es selten um Rodeln, sondern um das Leben dazwischen. „Ich sehe das so: Am Wochenende sind wir zwei Minuten Konkurrentinnen, aber ein halbes Jahr lang Freundinnen. Wir sind so viel zusammen unterwegs, da ist es einfach schön, wenn man sich gegenseitig hat.“

Auch Madeleine Egle, ihre langjährige Konkurrentin, war beim letzten Treffen dabei – trotz der laufenden Dopingsperre. „Wir haben uns gefreut, dass sie gekommen ist. Es war wichtig, miteinander zu reden. Sportlich muss man Regeln respektieren, aber menschlich wünsche ich ihr natürlich nichts Schlechtes.“

Freiheit im Kopf und auf vier Rädern

Wenn Julia Taubitz nicht im Eiskanal oder Kraftraum steht, sucht sie das Weite. Mit dem Surfbrett am Atlantik, mit dem Van auf der Landstraße, mit Freunden beim Lagerfeuer. „Das ist für mich pure Freiheit.“, sagt sie. „Ich weiß, dass ich das nach den Olympischen Spielen noch viel mehr genießen werde.“

Bis dahin heißt das Ziel: Cortina d‘Ampezzo 2026. Der Traum lebt – klar, fokussiert, voller Energie. Julia Taubitz, die Frau mit dem Lächeln, das auch nach einem Sturz nicht verschwindet, weiß: Manchmal führen die härtesten Kurven genau dahin, wo man hinwill.

„Ganz klar: die Olympiamedaille, das ist der Plan.“
Und wer sie kennt, weiß – sie meint das ernst.