Nagano (pps) Japan war zwar schon zweimal, nämlich 1972 mit Sapporo und 1998 mit Nagano, Schauplatz der olympischen Entscheidungen im Rennrodeln, aber die 37. Weltmeisterschaften vom 13. bis 15. Februar 2004 auf der Olympiabahn „Spirale“ von 1998 in Nagano stellen dennoch eine Premiere dar: Zum ersten Mal in der Geschichte des Internationalen Rennrodel-Verbandes (FIL) ist ein asiatisches FIL-Mitglied Gastgeber der Welttitelkämpfe. 22 Nationen mit 44 Herren, 28 Damen und 16 Doppelsitzern meldeten ihre Teilnahme an.

Die Weltmeisterschaften sechs Jahre nach den Olympischen Winterspielen an gleicher Stelle stehen ganz im Zeichen der großen Duelle. Nach Abschluss der Saison im Viessmann-Weltcup reduziert sich die Frage nach den neuen Weltmeistern in den Einzeldisziplinen auf jeweils zwei Damen und zwei Herren: Sylke Otto oder Silke Kraushaar heißt das Duell bei den Damen, Armin Zöggeler oder Georg Hackl der wahrscheinliche Zweikampf bei den Herren. Dagegen kommen im Doppelsitzer gleich ein halbes Dutzend Duos für WM-Gold in Frage.

„In Nagano ist der Hackl Schorsch der Favorit“, sagt Olympiasieger, Welt- und Europameister Armin Zöggeler. „Das ist der klägliche Versuch, sich der Favoritenbürde zu entledigen“, kontert der dreimalige Olympiasieger aus Berchtesgaden. „Nagano ist aber die Hackl-Bahn“, beharrt Zöggeler. Hackls Entgegnung: „Ich habe da zwar schon gewonnen, aber auch schon mal den Hintern versohlt bekommen.“ Das war beim letzten Nagano-Gastspiel des Weltcups der Fall, als die komplette deutsche Herren-Mannschaft nach einem blitzschnellen Wetterwechsel das falsche Material verwendete und unter „ferner Liefen“ in den Ergebnislisten auftauchte.

Von diesem einen Rennen einmal abgesehen verknüpft der 37 Jahre alte Hackl nur angenehme Erinnerungen an Nagano. Beim Olympiatest 1997 führte der Sportsoldat bei Halbzeit mit mehr als einer halben Sekunde Vorsprung, wechselte dann aber die Kufen, um das „vorolympische Omen“ der Rennrodler nicht herauszufordern. Dieser ungeschriebenen Regel zufolge gelang dem Sieger des Olympia-Tests ein Jahr später nie der Olympiasieg. Erst Armin Zöggeler setzte das ominöse Omen außer Kraft und gewann 2001 sowohl den olympischen Testwettkampf als auch 2002 Olympia-Gold in Salt Lake City.

Wunschgemäß landete Hackl 1997 nach dem zweiten Durchgang auf Rang drei, als Sieger ging der US-Amerikaner Wendell Suckow in die Annalen ein. Ein Jahr später gewann Hackl Olympia-Gold – übrigens mit dem größten Vorsprung aller seiner drei Olympiasiege. 1999 wiederholte Hackl seinen Erfolg beim Weltcup. Zwei von vier Rennen beendete Hackl in Nagano also als Sieger. Neben Suckow 1997 konnte sich noch 2001 beim von Wetterkapriolen begleiteten Weltcup der Italiener Wilfried Huber als Nagano-Sieger verewigen.

Die Rolle des lachenden Dritten trauen bei der WM viele Experten dem 22-jährigen David Möller zu, der in der Weltcup-Gesamtwertung hinter Zöggeler und Hackl Dritter wurde und in Calgary erstmals ein Weltcup-Rennen gewinnen konnte. „Ich bin noch nie in Nagano gefahren, kenne die Bahn also überhaupt nicht“, wiegelt er allzu hohe Erwartungen ab.

Allerdings genügten dem Bundesgrenzschutz-Polizisten bei seinem ersten Auftritt in Lake Placid auch nur fünf Trainingsfahrten, um im Weltcup dann Dritter zu werden. Georg Hackl hält jedenfalls viel von seinem jungen Konkurrenten aus dem eigenen Lager, bringt aber noch einen weiteren Namen ins Medaillenspiel: „Tony Benshoof aus den USA traue ich in Nagano viel zu. Mit ihm wird zu rechnen sein.“

Ganz anders die Situation bei den Damen. Sieben Saisonsiege verbuchte Sylke Otto, sechs Saisonsiege gelangen Silke Kraushaar vor dem wichtigsten Rennen des Winters. Sylke Otto als Olympiasiegerin von 2002 siegte fünfmal im Weltcup und zweimal im Challenge Cup. Ihre Vorgängerin stand bei drei Weltcups, zwei Challenge Cups und bei der Europameisterschaft ganz oben auf dem Siegerpodest. „Wir wechseln uns schon den ganzen Winter ab. Da Sylke Otto zuletzt beim Weltcup-Finale am Königssee vorne war, bin in Nagano eigentlich ich wieder an der Reihe“, sagt Silke Kraushaar.

Für die Oberhoferin spricht noch eine weitere Tatsache: Geschichte kann sich nämlich durchaus wiederholen. 1998 gewann Silke Kraushaar zunächst die Deutsche Meisterschaft, dann mit Bahnrekord den EM-Titel und schließlich Olympia-Gold. In diesem Winter erfüllte sie mit dem DM-Titel und der Europameisterschaft inklusive Bahnrekord schon einmal die ersten drei Voraussetzungen. Ein gutes Omen für Nagano? „Ich hätte nichts dagegen einzuwenden“, antwortet die 33 Jahre alte Thüringerin, in deren Sammlung nur noch der WM-Titel fehlt.
Als Medaillenkandidaten gehandelt werden Barbara Niedernhuber, die 1998 Olympia-Gold gerade um zwei Tausendstelsekunden verpasste, und die EM-Zweite Tatjana Hüfner. Der 20-jährige „Shooting-Star“ wird von ihren Eltern moralisch unterstützt, die extra nach Nagano reisen, um das WM-Debüt ihrer Tochter vor Ort zu erleben. „Oma steuert 1 000 Euro bei“, erzählt Tatjana Hüfner. Die deutsche Phalanx durchbrechen können die beiden Österreicherinnen Sonja Manzenreiter und Veronika Halder sowie die Lettin Anna Orlowa.

Spannung verspricht die Entscheidung im Doppelsitzer. Gleich sechs Duos trugen sich in diesem Winter in die Siegerliste ein: Die Titelverteidiger Andreas Linger/Wolfgang Linger (Österreich) gewannen die Weltcups in Sigulda und Altenberg sowie den Challenge Cup in Altenberg. Ihre Vorgänger als Weltmeister, Andre Florschütz/Torsten Wustlich aus Deutschland, hatten bei den Weltcups in Calgary und Winterberg sowie beim Challenge Cup in Park City die Nase vorne. Die Olympiasieger Patric Leitner/Alexander Resch sicherten sich dank eines starken Endspurts mit Weltcup-Siegen in Igls und am Königssee den Erfolg in der Gesamtwertung und siegten darüber hinaus noch beim Challenge Cup auf ihrer Heimbahn am Königssee.

Die Olympia-Zweiten von Salt Lake City, die US-Amerikaner Mark Grimmette/Brian Martin, verpassten wegen einer Verletzung von Grimmette die drei ersten Stationen, feierten als Sieger beim Weltcup in Park City jedoch ein glanzvolles Comeback und konzentrieren sich laut eigener Aussage ganz auf die WM. Tobias Schiegl/Markus Schiegl, die österreichischen Vize-Weltmeister von 2003, siegten beim Challenge Cup in Altenberg und rechnen sich in Nagano durchaus Medaillenchancen aus. Trotz ihres Erfolges bei der EM, als sie auf ihrer Heimbahn den Titel gewannen, wurden Steffen Skel/Steffen Wöller vom deutschen Cheftrainer Thomas Schwab nicht für die WM nominiert. „Sie haben ihre Chance nicht genutzt“, sagte Schwab nach dem Sturz vom Königssee und den Plätzen sieben (Winterberg) und acht (Igls) der zweimaligen Vize-Weltmeister (2000 und 2001).

Als Titelverteidiger im Team-Wettbewerb geht die Auswahl von Deutschland auch als Favorit in das Mannschaftsrennen. Medaillen-Hoffnungen machen sich Italien, Österreich, die USA, aber auch die Slowakei mit dem EM-Dritten Jaroslav Slavik, Lettland als Vize-Weltmeister von 2003 sowie die unberechenbaren Kanadier.

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